Gedenkkonzert 2019 und der Rücktritt der Mehrheit des Vorstandes

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Göttinger Vorstand zurückgetreten

Göttingen / Christlich-jüdische Gesellschaft 28.03.2019 00:21 © Göttinger Tageblatt

Das Tischtuch ist zerrissen zwischen der Jüdischen Gemeinde Göttingen und der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Der Vorstand der Gesellschaft trat nach Kritik von Mitgliedern zurück.

Die Ausgestaltung des Gedenkkonzertes Ende Januar in der Paulus-Kirche hatte sich der jüdische Kantor Daniel Kempin anders vorgestellt. Er war kurz zuvor von christlicher Seite entlassen worden. Das Konzert des Projektchores Synagogalmusik erklang trotz Absage der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit unter der Leitung von Carolin Hlusiak. Quelle: Niklas Richter

Göttingen Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) Göttingen ist derzeit handlungsunfähig. Der Vorstand des eingetragenen Vereins ist bis auf die stellvertretende Vorsitzende Bettina Kratz-Ritter zurückgetreten. Die promovierte evangelische Theologin hat die Aufgaben des Vorstandes kommissarisch übernommen.

Während einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, zu der sich am 11. März knapp 100 der gut 300 Mitglieder der GCJZ einfanden, soll es nach Angaben von Teilnehmern eine sehr lebhafte Diskussion gegeben haben. Auf Nachfrage bestätigt Kratz-Ritter: „Es gab viel Empörung, die sich gegen den Vorstand richtete.“ Die allgemeine Kritik zielte insbesondere auf das Krisenmanagement rund um den diesjährigen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar und ein für diesen Tag geplantes Konzert ab. Im Vorfeld war es zu einem Zerwürfnis mit dem an dieser Veranstaltung ursprünglich maßgeblich beteiligten jüdischen Musikers und Kantors Daniel Kempin gekommen. Der Disput über die Gestaltung des Konzertes mündete in dessen Absage durch den Vorstand der GCJZ. Der Chor sang dennoch in der Paulus-Kirche. Der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Göttingen erklärte sich solidarisch mit Kempin und beurteilte das Verhältnis zur GCJZ als nachhaltig gestört.

Jüdische Seite nicht ernst genug genommen

Kratz-Ritter räumt nunmehr ein, dass die jüdische Seite und ihre Anliegen nicht ernst genug genommen worden sind. Sie selbst sah am 11. März aber keinen Grund zum Rücktritt. „Ich war seit Wochen schon in Opposition zum Vorstand und hatte immer wieder den Umgang mit Herrn Kempin kritisiert“, begründet sie. Selbst als Sängerin am Chorprojekt beteiligt, habe sie sich in einer „merkwürdigen Doppelrolle“ wiedergefunden.

Der Vorstandsvorsitzende der GCJZ, Heiner J. Willen, sei Anfang Januar mit der Forderung auch an sie herangetreten, sich von Daniel Kempin als Mitwirkenden zu trennen. „Ich habe ihm gesagt, dass er meine Stimme dafür nicht bekommt“, sagt Kratz-Ritter.

Wenig miteinander gesprochen

Willen habe, führt sie weiter aus, sehr projektbezogen gearbeitet, es sei im Vorstand wenig miteinander gesprochen worden. Darin sieht sie einen der Gründe für die aufgekommenen Unstimmigkeiten. Der Riss zwischen christlicher und jüdischer Seite habe wohl schon im Mai 2018 begonnen sich aufzutun, als die Anliegen und Konditionen, die Kempin vorbrachte und stellte, entweder falsch verstanden oder ignoriert wurden, vermutet Kratz-Ritter.

„Momentan ist die Gesellschaft nicht handlungs- und nicht zahlungsfähig. Dieser Zustand muss so kurz wie möglich gehalten werden“, betont die kommissarische Vorsitzende. Während einer ordentlichen Mitgliederversammlung am 3. April soll ein neuer Vorstand gewählt werden. Sie selbst will nicht wieder kandidieren.

„Riesige Verpflichtung als Deutsche“

Die Arbeit der GCJZ betrachtet sie als unerlässlich. „Wir haben eine riesige Verpflichtung als Deutsche.“ Zudem habe sich die jüdische Seite in Deutschland profiliert und trete selbstbewusst auf. „In dieser Zusammenarbeit ist Fingerspitzengefühl gefragt“, sagt Kratz-Ritter. Für dieses Miteinander brauche es Menschen, die Zeit, Lust und Herzblut mitbringen. Auch die jüdische Seite brauche die GCJZ, gerade in Zeiten eines sich verstärkenden Antisemitismus in Deutschland. So sei es ein Manko gewesen, dass es durch die GCJZ keine Stellungnahme beim Streit um die Vergabe des Göttinger Friedenspreises gegeben hat.

Der bisherige Vorsitzende Heiner J. Willen war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

Von Ulrich Meinhard

Kritik an Gedenkkonzert: Jüdischer Kantor fühlt sich ausgebootet

Göttingen / Gedenken an Holocaust 30.01.2019 17:09 © Göttinger Tageblatt

Der jüdische Kantor Daniel Kempin war an der Vorbereitung eines Gedenkkonzertes in Göttingen beteiligt. Der Name des in Frankfurt lebenden Musikers wurde jedoch verschwiegen

Daniel Kempin, Quelle: Peter Heller

Göttingen Enttäuscht hat sich Daniel Kempin nach der Ausrichtung eines Konzertes anlässlich des Holocaust-Gedenktages geäußert. Die Kritik des jüdischen Kantors richtet sich nicht auf das Konzert, sondern auf die Begleitumstände. Darauf weist Kempin im Gespräch mit dem Tageblatt ausdrücklich hin. Er fühle sich ausgebootet.

Der Frankfurter war, wie er sagt, vor gut einem Jahr von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) gebeten worden, an der Organisation und Ausrichtung des Gedenkkonzertes in Göttingen mitzuwirken. Kempin sagte zu, suchte zehn von insgesamt 13 ursprünglich geplanten Chorstücken aus, schickte dem Chor die Notenblätter, schrieb Texte zu den einzelnen Werken, damit sie dem Publikum erläutert werden können, kam zu einer Chorprobe aus Frankfurt/Main angereist, übte mit den Sängerinnen und Sängern die hebräische Aussprache – kurzum, er brachte sich in die Vorbereitungen engagiert ein.

Kein Denkgebet

Kempin sollte zudem mehrere Soli singen, darunter das offizielle jüdische Denkgebet, mit dem an die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nationalsozialisten erinnert wird. „Das hätte dem Konzert den Charakter verliehen, der ihm zugestanden wäre“, findet der Kantor. Doch er sei Anfang Januar völlig aus dem Gedenkkonzert gestrichen worden, ganz so, als würde es ihn gar nicht geben. Bereits gedruckte Plakate mit seinem Namen seien eingestampft worden.

Kein Dank, keine Würdigung

Auch während der Veranstaltung am Sonntag fiel sein Name an keiner Stelle: kein Hinweis, kein Dank, keine Würdigung. „Ich bin nicht nur ausradiert worden. Dem Chor wurde gesagt, dass eine Zusammenarbeit nicht möglich ist, was ausschließlich an mir liege. Das empfinde ich als Rufschädigung“, sagt Kempin. Er ergänzt: „Ich habe da sehr viel Arbeit reingesteckt, die ist in keiner Weise honoriert worden.“ Anfänglich als Co-Chorleiter angesprochen, sei er nach und nach immer mehr zum Bittsteller degradiert worden, dessen Vorstellungen kein Gehör fanden. Schließlich sei am 4. Januar die Kündigung durch die GCJZ erfolgt. „Die hat mich kalt erwischt“, erklärt Kempin. Befragt nach den Ursachen der Dissonanz, verweist der Kantor auf sein Ansinnen, die jüdische Sichtweise beim Ausrichten einer solchen Veranstaltung deutlich zu machen. Das sei ihm wohl nicht gelungen.

Die jüdische Perspektive

Jaqueline Jürgenliemk und Achim Doerfer vom Vorstand der jüdischen Gemeinde Göttingen verstehen, dass sich Kempin verletzt fühlt und stellen sich auf seine Seite. „Wir hatten nichts mit den Vorbereitungen und der Ausrichtung des Gedenkkonzertes zu tun“, betont Jürgenliemk. Jedoch sei das Verhalten gegenüber dem Kantor (das jüdische Wort lautet Chasan) nicht hinnehmbar. Doerfer räumt ein, dass die jüdische Perspektive zuweilen fremd erscheinen mag, aber: „Im Vorstand der GCJZ saß ein inzwischen zurückgetretenes jüdisches Mitglied. Das hätte man doch befragen können.“ Aber das sei nicht geschehen.

Kein Feingefühl

Auf Augenhöhe sei der gesamte Prozess nicht abgelaufen, kritisiert Jürgenliemk. Die jüdische Seite habe versucht, schlichtend einzugreifen, sei aber überhaupt nicht gehört worden. Ein interreligiöser Dialog benötige Feingefühl, beide Seiten müssten gleichberechtigt angeschaut werden, genau das habe sie seitens der GCJZ vermisst. Zugleich hebt sie unmissverständlich hervor: „Wir müssen jetzt zurück zum Gespräch miteinander. Wir sind dazu bereit.“

Terminvorschläge sind gemacht

„Selbstverständlich sind wir als Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit sehr einverstanden, wenn es möglichst bald zu einem gemeinsamen Gespräch der Vorstände kommt“, beteuert der Vorsitzende der GCJZ, Heiner J. Willen. Terminvorschläge seien bereits gemacht worden.

Zu den von jüdischer Seite erfolgten Ausführungen wolle er aber keine Stellung beziehen, zumindest nicht öffentlich. „Ich bitte um Verständnis. Das werden wir gerne in einem gemeinsamen Gespräch tun“, erklärt Willen. Bei Konflikten gebe es üblicherweise unterschiedliche Sichtweisen: „Das ist aus unserer Sicht auch hier der Fall. Das möchten wir aber gerne im Dialog miteinander klären.“

Dankbarer Applaus

Das Konzert ist in der katholischen Paulus-Kirche erklungen, obwohl die GCJZ Göttingen die Veranstaltung einen Tag zuvor abgesagt hatte. Der Chor ignorierte die Absage und trat dennoch auf. Dafür gab es dankbaren Applaus von den zahlreich erschienenen Zuhörern in der vollbesetzten Kirche.Das Ensemble hatte sich ausschließlich für diesen Auftritt als Projektchor zusammen gefunden. Die musikalische Leitung lag in den Händen von Carolin Hlusiak.

Von Ulrich Meinhard

GCJZ Göttingen sagt Gedenkkonzert ab – Chor singt trotzdem

Göttingen / Verwirrspiel um Konzert 30.01.2019 17:09 © Göttinger Tageblatt

„Ein Verwirrspiel hat es um das Konzert des Projektchores Synagogalmusik gegeben. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages sollten die knapp 70 Sänger am Sonntag in der katholischen St.-Paulus-Kirche christliches und jüdisches Liedgut interpretieren. Doch das stand zwischendurch infrage.

Trotz der Querelen hinter den Kulissen gab es am Sonntagabend ein Konzert in St. Paulus. Quelle: Niklas Richter

Göttingen Ein Verwirrspiel hat es um das Konzert des Projektchores Synagogalmusik gegeben. Anlässlich des Holocaust-Gedenktages sollten die knapp 70 Sänger am Sonntag in der katholischen St.-Paulus-Kirche christliches und jüdisches Liedgut interpretieren. Die für die Ausrichtung des Konzertes zuständige Gesellschaft für christlich-jüdische Zusamenarbeit (GCJZ) sagte das Konzert jedoch am Sonnabend ab.

„Die Absage hat uns während der Generalprobe erreicht“, sagte Chorleiterin Carolin Hlusiak am Sonntagabend gegenüber dem Tageblatt. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Konzert allerdings doch stattgefunden, gegen den Willen des Vorstands der GCJZ. Der Chor hatte sich entschieden, der Vorgabe nicht zu folgen. Fast ein halbes Jahr Probearbeit sollte nicht umsonst gewesen sein, außerdem sei dem Ensemble aus ehrenamtlichen Sängern der Zweck des Konzertes, das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, wichtig gewesen, sagte Hlusiak.

Viel Applaus für den Chor

Die Zuhörer in der voll besetzten Pauluskirche dankten dem Chor nach dem Konzert mit langanhaltendem Applaus. Allerdings fehlten einige geplante jüdische Lieder und Textpassagen, da der jüdische Kantor Daniel Kempin nicht teilnahm.

„Die Gründe für die Absage kennen wir nicht“, sagte Achim Dörfer vom Vorstand der jüdischen Gemeinde. Es habe aber seit einiger Zeit Dialogprobleme mit der GCJZ gegeben. So sei der Titel des Gedenkkonzertes „Verleih uns Frieden gnädiglich“ für die jüdische Seite nicht akzeptabel gewesen, da es sich um ein Zitat von Martin Luther handelt. Dessen verbale Entgleisungen gegenüber Juden seien menschenverachtend und nicht tolerierbar, so Dörfer.

Wegbrechen der Kommunikation

Auch die Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Jacqueline Jürgenliemk, sprach von einem Wegbrechen der Kommunikation mit der GCJZ. Es habe in der Vergangenheit mehrere Unstimmigkeiten gegeben.

Gerne hätte es auch ein Zitat aus der Bibel sein können. Die jüdische Seite habe sich um einen Kompromiss bemüht, ohne Erfolg. Dabei sei doch der Zweck der Gesellschaften für jüdisch-christliche Zusammenarbeit Verständigung und Zusammenarbeit in gegenseitigem Respekt und in Anerkennung der religiösen Unterschiede.

„Dialog ist unverzichtbar“

„Wir sind bestürzt. Die Zusammenarbeit ist erst einmal in Frage gestellt“, erklärte Jürgenliemk. Auf die Frage, wie es jetzt weitergehen kann, sagte sie: „Der Ball liegt auf der Seite der anderen. Von dort muss der Vorschlag kommen, wie ein Neustart aussehen soll. Eine Weiterarbeit gibt es so nicht mehr.“

Sie stellte aber auch klar: „Für uns ist der jüdisch-christliche Dialog absolut unverzichtbar.“ Der sei insbesondere in Zeiten wieder aufkommender Ressentiments wichtig. In der Folge des Disputs ist das einzige jüdische Mitglied im Vorstand der GCJZ zurückgetreten.

GCJZ-Vorsitzender räumt Kommunikationsprobleme ein

Der Vorsitzende der GCJZ, Heiner J. Willen, räumte am Sonntag ein, dass die Kommunikation mit der jüdischen Gemeinde in den vergangenen Wochen kompliziert geworden sei. „Das lag zu unserem Bedauern auch an uns“, sagte er. Die von der jüdischen Gemeinde genannten „Unstimmigkeiten“ hätten letztlich zur Absage des Konzertes geführt.

„Wir sind der Auffassung, dass die beiden Vorstände der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der jüdischen Gemeinde zunächst diese Dinge bearbeiten müssen“, machte der Vorsitzende einen Vorschlag zur Güte. Auch für ihn sei eine weiterhin gute und konstruktive Zusammenarbeit unverzichtbar.

Treffen soll für Klärung sorgen

„Wir haben dem Vorstand der jüdischen Gemeinde bereits am Donnerstag ein Treffen angeboten und zu einer gemeinsamen Sitzung eingeladen, gegebenenfalls mit einer Mediatorin, einem Mediator.“ Zwei Terminvorschläge würden vorliegen, einer im Februar, einer im März.

„Sollten beide Termine nicht passen, haben wir unsere Bereitschaft bekundet, gemeinsam weiter nach einem für alle passenden Termin zu suchen“, so Willen. Auf die Nachfrage, welche Unstimmigkeiten – über den umstrittenen Konzert-Titel hinaus – es denn gegeben habe, entgegnete er: „Dazu möchte ich nichts sagen.“

Von Ulrich Meinhard

Gedenkkonzert zum Holocaust-Gedenktag

Göttingen / Projektchor Synagogalmusik 23.01.2019 17:56 © Göttinger Tageblatt

Ein Konzert anlässlich des Holocaust-Gedenktages erklingt am Sonntag, 27. Januar. Der Projektchor Synagogalmusik der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit tritt in der Göttinger St.-Paulus-Kirche auf.

Quelle: Heller

Göttingen Das Konzert beginnt um 17 Uhr, der Eintritt ist frei, Spenden sind willkommen. Auf dem Programm stehen deutsche und hebräische Psalmvertonungen unterschiedlicher Epochen, etwa von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Louis Lewandowski und David Rubin, heißt es in einer Mitteilung der GCJZ. Der Chor wird unterstützt von Solisten, einem Streichquintett sowie von Klavier, Orgel und Gitarre. Die musikalische Leitung hat Carolin Hlusiak.

Eine Gedenkansprache zum Holocaust-Tag will im Rahmen des Konzertes der stellvertretende Vorsitzende der GCJZ Thilo Rudnig halten. In der Mitteilung heißt es weiter, dass die GCJZ mit dem Konzert ein Zeichen setzen möchte gegen das Wiedererwachen rechter und rechtsextremer Ideologien in Deutschland.

Von Ulrich Meinhard